Liebesahnung

Die Vesperglocken klingen
Im abendlichen Schein,
Von Rüdesheim nach Bingen,
Herüber den breiten Rhein.

Rings hat an steilen Wänden
Auf Steingeröll, am Kant'
Von sonnigen Geländen
Die Reb' ihr Netz gespannt.

Die hohen Kuppen blauen,
Zerfallne Burgen stehn,
Und kühne Warten schauen
Herunter von den Höhn.

Dort ranken rothe Winden
Und Schlingkraut sich empor;
Es weht der Duft der Linden
Durch das versunkne Thor.

Im Rahmen mächt'ger Bogen
Senkt sich der Sonne Schild,
Es rauschen laut die Wogen
In Dämmerung gehüllt.

Und sinnend sitzt am Strande,
Zum Knie geschürzt das Kleid,
Still an des Wassers Rande
Die jugendliche Maid.

Sie wusch die weißen Füße
Wohl in der frischen Fluth,
Und rosig glüht das süße
Antlitz in Abendgluth.

Noch brennt auf ihrem Munde
Der erste Kuß, entzückt
In einer sel'gen Stunde
Den Lippen aufgedrückt! -

Sie scheint den Fluß zu fragen:
»O Wellen, sprecht ein Wort!
Wohin habt ihr verschlagen
Den Knaben, an welchen Ort?«

»Warum, du schnöde Welle,
Trägst du ihn fort von hier?
Was zogst du gar so schnelle
Ihn aus den Armen mir?« -

Die raschen Wellen treiben,
Zur Antwort giebt der Fluß:
»»'s kann halt nichts ewig bleiben,
Am mindesten - ein Kuß!«« -


Rausche, rausche kühler Fluß,
Rausche immer zu;
Knabe schläft an deinem Ufer,
Träumt in süßer Ruh.

Träumet, feuchte Wasserfrauen
Hätten ihn erfaßt,
Führten ihn in einen hohen
Goldenen Palast;

Singen, schlingen Zaubertänze,
Und er steht bethört,
Und er träumt von Melodien,
Nie zuvor gehört.

Harfentönen, Cymbelklängen,
Wunderbarem Laut.
Träumt von Reizen, die der Knabe
Nie zuvor geschaut;

Weißen Busen, vollen Armen,
Hüften schlank und rund,
Stolzen Nacken, goldnen Locken,
Rosengleichem Mund!

Er erwacht - fort sind die Hallen,
Fort der Nixen Chor;
Und die Welle treibt die Schäume
Rauschend wie zuvor.

Doch in seiner Seele Tiefen
Bleibt ein dunkles Bild,
Bleibt ein neu erwachtes Sehnen,
Heiß - und ungestillt!

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