Meerfahrt

Es blickt vom schimmernden, schwanken
Verdeck ein Superintendent,
Umgaukelt von süßen Gedanken,
Ins schäumende Element.

Er lauscht auf der Nixen Gekicher
In des Mittags glitzerndem Schein
Und schien sich noch niemals so sicher
In Gottes Obhut zu sein.

Wie die Tage so fröhlich verrinnen,
Wie die Stunden geflügelt entfliehn;
Er kann sich kaum mehr entsinnen,
Wie er abfuhr von Berlin.

In Wien noch glotzt er beklommen
Aus dem Eisenbahnkupee;
Das war ein Entgegenkommen
Ohne Vivat und ohne Juchhe.

Doch schon in dem alten Venedig
Hub an die glückselige Zeit;
Da war man, des Bangens ledig,
Von düstren Gedanken befreit.

Lieb Vaterland, wurde gesungen,
Magst ruhig sein, es geht uns nicht schlecht.
Die Fürsten standen umschlungen,
Die Begeistrung im Volke war echt.

Doch wie dann am Goldenen Horne
Der Salut der Geschütze erscholl
Und aus unerschöpflichem Borne
Die Freude des Daseins quoll,

Wenn der Dichter das schildern könnte,
Dann würde der Leser nicht satt,
Doch genügt es dem Superintendente,
Daß er es genossen hat.—

Wie in seligem Selbstgeflüster
Noch vertieft steht der fromme Mann,
Tritt lautlos der Staatsminister
Kopfschüttelnd an ihn heran:

«Mann Gottes, mir ist miserabel;
Mein Herz ist mir schrecklich schwer.
Ich spüre beständig den Kabel
Tief unten im Mittelmeer.

Das Schiff gleitet lustig darüber
Hinweg zum Heiligen Land,
Doch der Kabel da unten, mein Lieber,
Der scheint mir zu straff gespannt.

Da staun sich Millionen von Volten
Bedenklicher Elektrizität.
Ich glaube, mein Lieber, wir sollten
Umkehren, bevor es zu spät.

Was hilft es mir, wenn man fabelt
Von schmackhaftem geistigen Brot;
Erst vorgestern wurde gekabelt
Von Teuerung und Hungersnot.»

Der Pastor will eben erwidern,
Es sei alles in Gottes Hut,
Da zuckt ihm in sämtlichen Gliedern
Ein Ruck, und es starrt ihm das Blut.

Die beiden Männer erbleichen,
Das Schiff ist wie festgebannt;
Als könnte die Hand es erreichen,
Winkt fern schon das Heilige Land.

Nun schnaufen die mächtigen Schlote
Wie ein doppelter Vesuv,
Das Schiff liegt wie eine Tote,
Dem Pastor entringt sich der Ruf:

«Oh, diese gefahrvolle Reise,
Was soll sie den Völkern bloß!»
Der Staatsminister seufzt leise:
«Es ist eine Schraube los.»
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